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Die alt-lutherische Gemeinde in Treptow

 

In der Heimatkirche Januar 2015 berichteten wir über die ausgewanderten Alt-Lutheraner in Wisconsin/USA. Hier geht es um die Alt-Lutheraner, die in Pommern geblieben sind. In Rita von Gaudeckers (1879-1968) nachgelassenen getippten Seiten fand sich ein längerer Bericht über „Weggenossen“. Sie schildert darin, was ihr Bäume, Bücher und Häuser auf ihrem Lebensweg bedeutet haben. Bei den Häusern geht es um Gutshäuser in der Nachbarschaft von Molstow/Kr. Greifenberg. Für uns ist die Vergangenheit der altlutherische Kirche in Treptow auch deswegen besonders wichtig, weil dort heute noch evangelische Gottesdienste, allerdings in polnischer Sprache, stattfinden. Auch in Stolp treffen sich die heutigen Evangelischen in der ehemaligen Kirche der Altlutheraner.

Rita Scheller

 

Zum Schluss möchte ich noch von einem Haus erzählen, das in ganz anderer Weise mein Leben beeinflusst hat. Es war das altlutherische Pfarrhaus in Treptow. Unsere Kirche hatte zugleich einen Zugang durch die Wohnung des Pastors. Wir benutzten ihn gern, weil unser Gestühl das gleiche war, wie das für die Familie des Pastors. Als wir Kinder waren, hatten die altlutherischen Kirchen keine Glocken. Zu der Zeit, als auf königlichen Befehl 1817 die Union zwischen der lutherischen und der reformierten Kirche Kirche durchgeführt wurde, widersetzte sich ein größerer Kreis der Lutheraner, weil sie die „Union“ für eine dem Willen Luthers nicht entsprechende Verfügung hielten. Dadurch fielen sie tief in Ungnade. Sie hießen von nun an „Altlutheraner“, mussten ihre Geistlichen selber bezahlen und durften keine Glocken in ihren Kirchen haben.

 

Dass die Gemeinde und der Pfarrer in wirtschaftlicher Hinsicht voneinander abhingen, wirkte sich eigentlich nur zum Guten aus, es schuf ein besonders herzliches und persönliches Verhältnis zwischen Pfarrer und Gemeinde. Dass wir kein Glockengeläut hatten, betrübte uns Kinder, aber andererseits hatte wir das Gefühl, zu einer verfolgten Kirche zu gehören. Mein Vater erzählte aus seiner Kindheit, dass er einen altlutherischen Hauslehrer gehabt hatte, einen junge Theologen. Es muss damals wohl mit sehr großer Strenge gegen die Abtrünnigen vorgegangen worden sein. Ob man ihn hat einsperren wollen, weiß ich nicht, wohl aber, dass der Hauslehrer meines Vaters flüchten musste und man ihn mit seinem Zögling in einem Pferdewagen zu einem sichereren Zufluchtsort brachte. Die Vorschriften der altlutherischen Kirche waren sehr streng. Tanz war in ihren Augen Sünde. Beim Erntefest, wenn das ganze Dorf tanzte, litten unsere armen altlutherischen Mädchen große Qual.

 

Schon als Kind war ich froh, wenn ich zum Gottesdienst nach Treptow mitgenommen wurde, was aber leider nicht sehr häufig geschah, weil mein Vater seine Pferde gern am Sonntag schonte, denn es war eine Stunde Wagenfahrt von Molstow nach Treptow. Die sehr kurzen Predigten von Pastor Melchert, niemals länger als 20 Minuten, konnte man bereits im kindlichen Alter verstehen, tiefste Stille herrschte in der Kirche und alle hörten gespannt zu. Mit 15 Jahren begann mein Konfirmandenunterricht, an den ich noch heute mit größter Dankbarkeit zurückdenke. Damals war Pastor Melchert wohl Mitte 30, hatte eine sehr nette Frau, drei Töchter und einen kleinen Sohn.

 

Er selbst stammte aus einer westpreußischen Bauernfamilie. Sein Vater war geisteskrank gewesen und in Umnachtung gestorben. Die Ahnung, dass diese schwere Schicksal auch ihn packen würde, vertraute mir Pastor Melchert etwa ein Jahr nach meiner Einsegnung an. Dass er mir jungem Ding damals diese ernste Sorge mitteilte, hat mich tief bewegt. Sein dennoch so starker Glaube an Gottes Erbarmen und Güte ließ mich staunen. Wenigen Menschen verdanke ich soviel wie ihm.

 

In der ersten Hälfte meiner Konfirmandenzeit hatte ich Einzelunterricht und fuhr jede Woche an einem dafür festgelegten Tag nach Treptow. Kutscher Hermann fand diese Ausflüge recht unnötig, weil er genau wie mein Vater gern die guten Pferdebeine schonte. Voller Ungeduld saß ich hinten im Wagen, aber wenn ich ihn vorsichtig mahnte, meinte er nur: „Aber Fräulein Ritachen, zu so was kommt man nie zu spät.“

Endlich landeten wir dann in der sogenannten Langen Straße, die durch die ganze kleine Stadt führte, bis hinaus zu dem Tor, durch das man nach Greifenberg fuhr.

Etwa fünf Minuten vor diesem Tor bog man von der Hauptstraße nach rechts ab in die kleine Seitenstraße, in der das Pfarrhaus und die Kirche lagen, von einem weißen Holzzaun umgeben.

 

Die Konfirmandenstunden fanden in Pastor Melcherts Arbeitszimmer statt. Ein Geruch von den Ledereinbänden vieler Bücher und von Pfeifenrauch schlug mir entgegen.Wir nahmen an dem ovalen Tisch vor dem Ledersofa Platz, einander gegenüber. Es waren unvergesslich schöne Stunden. Der große Ernst und der fast leidenschaftliche Glaube diese Mannes waren für mich junges Ding ein ganz großer, nie erlebter Eindruck. Es war so gar nicht wie Schule, und alles Lernen an Liedern und Sprüchen für diese Stunde war nur Freude. Es war dann ein rechter Schmerz für mich, als der Konfirmandenunterricht im zweiten Halbjahr von Einzel- in Gruppenunterricht mit etwa 30 Konfirmanden überging. Zunächst fühlt ich mich befangen, schon allein das Fingerheben war mir ungewohnt. Schön war es dennoch. Am 29. September 1895 wurde ich eingesegnet.

 

Als ich siebzehn Jahre alt war, war es mir eine große Freude, als der Pastor mich bat, bei seiner Tochter Pate zu stehen. Sie wurde Margarethe getauft, sie hat später jahrelang in der Treptower Post gearbeitet und bekam nach der Flucht aus Pommern eine Stelle bei der Post in Gifhorn.

Wir schreiben einander hin und wieder und ich würde das Patenkind gern einmal wiedersehen. Seine Briefe an mich und sein Bild sind mir 1945 verloren gegangen ….

 

Rita von Gaudecker, um 1966, gekürzt von Rita Scheller