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Weihnachten 2012 (Bericht der Tochter)

Zweiunddreißig Jahre später machten wir uns wieder auf den Weg in die alte Heimat meiner Mutter. Diesmal waren wir zu sechst. Neben meiner Mutter und mir machten sich diesmal auch Vater, Bruder, Neffe und Schwägerin mit auf den Weg. Angst vor den Grenzbeamten musste keiner mehr haben, die polnisch-deutsche Grenze war in der Dunkelheit des Winterabends nicht zu erkennen und die DDR mit ihren furchterregenden Grenzbeamten ist längst Geschichte. Trotz warmer Züge fluchten wir über die Bahn, denn im Jahr 22 nach der Wende gibt es noch immer keine durchgehenden Züge zwischen Berlin HBF und Stettin – von einer Verbindung zwischen Hannover und Köslin wagen wir erst gar nicht zu träumen.

 

Dem dreijährigen Jona traf der Kulturschock am Bahnhof Stettin mit voller Wucht: die fremde Sprache, ungewohnte Gerüche sowie die fehlenden Rolltreppen. Gut, dass Oma und Opa eine schützende Hand reichen konnten. Die weihnachtlichen Lichter der Bahnhofsfassade erfreuten den „Großen“ dann aber doch. Unser Taxifahrer bewies, dass es nicht gut ist, wenn man sich zu sehr auf den „Navi“ verlässt. So drehten wir noch eine Extrarunde durch die Stadt, bei der wir vielerlei weihnachtliche Lichtgestalten bestaunen konnten. Der Lichterschmuck beschränkte sich dabei weitgehend auf öffentliche Gebäude und Plätze, während Privathaushalte viel weniger Dekoration als in Deutschland aufwiesen.

 

In den Tagen vor Weihnachten spielte natürlich der Weihnachtsmann eine große Rolle für den Dreijährigen. Beim Anblick des Stettiner Herzogsschlosses äußerte er den Wunsch, dass er sich eine Burg zu Weihnachten wünschen würde. Die gute Tante versprach, eine SMS an den Weihnachtsmann zu schicken, damit dieser den Wunsch noch rechtzeitig erhalten sollte. Später trafen wir dann den Weihnachtsmann an der Wursttheke im Supermarkt, weil doch das Einsammeln der Wunschzettel solchen Hunger macht. Das er auch brav über den Zebrastreifen geht, ist logisch, schließlich braucht der Renntierschlitten einen großen Parkplatz und kann nicht mal eben vor der Haustür abgestellt werden.

 

Der Weihnachtsmann in Polen spricht polnisch, gab sich dann aber auch mit einem deutschen Gedicht zufrieden. Neben der gewünschten Burg (die er wohl schnell noch in seiner Himmelswerkstatt am Sonntag bauen ließ) brachte er noch ein Ritterschwert mit, dass das Kind fortan nur zum Essen aus der Hand gab. Weil aufgrund der kalten Witterung in den Kaminen das Feuer brannte, kletterte der Weihnachtsmann durch das Fenster unseres Hotel. Leider, leider verpasste der Papa Percy die ganze Aufregung, weil er an der Rezeption des Hotels auf ihn wartete.

 

Das in Pommern zur Weihnachtszeit stets Schnee liegt, können wir nicht bestätigen. Wie im Westen setzte auch hier in der Nacht zum Heiligabend das Tauwetter ein. Die Temperatur stieg innerhalb von 24 Stunden von -6 auf 4 Grad an. Die gesamte Familie musste deshalb am 23. Dezember zum Spaziergang ausrücken, um noch ein paar Bilder von der gefrorenen Ostsee und dem verschneiten Dünenwald zu erhalten. Auf den fast menschenleeren Wegen begegneten uns noch zahlreiche andere deutsche Urlauber; ein Winterspaziergang muss wohl eine deutsche Tradition sein. Dabei setzte die arktische Kälte unserem jüngsten Familienmitglied gehörig zu, das aber tapfer bis zur Dorfkirche mitmarschierte.

 

In der Dorfkirche war die Weihnachtskrippe schon aufgebaut, nur Baby Jesus fehlte noch. Neben dem von der Urahnin Marie von Schmeling gestifteten Weihnachtsbild gibt es seit 2005/06 noch zahlreiche weitere Fensterbilder in der Kirche zu bestaunen. Das Pfingstbild wurde von den Nachkommen der Marie von Schmeling gestiftet. Auf dem angrenzenden Kirchhof soll im Sommer 2013 ein Gedenkstein für den letzten Kirchenpatron und seine beiden Ehefrauen aufgestellt werden.

 

Noch immer ist die polnische Küche am Besten, wenn es sich um gute polnische Hausmannskost handelt. In unserem ersten Hotel, dem Meduza, der wiederaufgebauten Böttchers Strandhalle, versuchte sich der Koch an der internationalen Küche, das ging erfahrungsgemäß schief. Wir vermuten, dass er vielleicht in England kochen gelernt hat. Das Essen am Heiligabend war 1a, da gab es die traditionellen 12 Ei- und Fischspeisen. Die Weihnachtsmenüs am 1. und 2. Feiertag waren in Ordnung, nur war der Koch nicht fantasievoll genug, sich für den 2. Feiertag neue Gerichte auszudenken. Auch das keine kostenlosen nicht-alkoholischen Getränke serviert wurden, fällt unter die die Kategorie „Kasse statt Klasse“. Nach unserem geplanten Hotelwechsel in neu erbaute Syrena werden wir jetzt mit solider polnischer Küche verwöhnt und es gibt immer kostenlosen Tee. Ein Beutel Tee kostet zwischen 10 und 30 Groszy, dazu noch ein wenig heißes Wasser. Die Materialkosten für die Hoteliers bleiben also überschaubar.

 

Am Heiligabend waren außer uns noch drei Frauen in der Kirche, die bereits 1980 mit uns den deutschen Weihnachtsgottesdienst gefeiert hatten. Die Lutheraner sind längst nicht mehr zu Gast bei den Methodisten, deren Kirche vor einigen Jahren einer Straßenerweiterung weichen mussten, sondern besitzen seit 2008 ein schickes neues Gemeindezentrum. Leider reichte danach das Geld nur noch für einen Plastikbaum mit blau leuchtender, blinkender Lichterkette, die einige von uns an Diskolichter erinnerte. Dafür bewunderten alle Gottesdienstbesucher die neue, vom Helferbund Rita von Gaudecker gestiftete Holzkrippe. Nach anfänglichem Zögern arrangierte Jona die Krippe um. Ochs und Esel sollten sich küssen und die übrigen Schafe das Jesuskind bewundern. Dankbar waren wir über den gut geheizten Kirchenraum. Seltsamerweise scheint das Lied EG Nr. 44 „O du fröhliche“ in der der Kösliner Gemeinde unbekannt zu sein, es war nicht Bestandteil des offiziellen Gottesdienstes. Zur Mitternachtsmesse in der Großmöllener Dorfkirche konnte sich dann nur noch der Opa Olli aufraffen.

 

Am 30. Dezember besuchten wir dann den Familiengottesdienst in Stolp. Unsere aufrichtige Bewunderung gilt allen Stolper Gemeindegliedern, die den ganzen Winter über in die Kirche kommen. Bei unserem Besuch war es in der gut gefüllten Kirche kälter als draußen mit 5 Grad plus. Da lenkte uns die wunderschön geschmückte Tanne aus pommerschem Wald sowie die Krippe – gestiftet vom Stolper Heimatkreis - in wenig ab. Zum Abschluss des Gottesdienstes sangen wir mein Lieblingskirchenlied auf deutsch und polnisch „O du fröhliche“. Anschließend durften wir uns bei der deutschen Minderheit bei Kuchen und Tee aufwärmen.

 

Das Silvesterfeuerwerk hat inzwischen auch in Polen Einzug gehalten. In einer bekannten deutschen Tageszeitung wurde sogar vor den polnischen Raketen gewarnt. Unser Balkon bot uns einen Logenplatz für den Anblick der Raketen. Und Dank des Sattelitenfernsehens brauchten wir noch nicht einmal auf das gewohnte Feuerwerk am Brandenburger Tor zu verzichten. Das Silvesterbuffet war im Preis enthalten und ließ keine Wünsche offen. Bei einer kalkulierten halben Flasche Wodka pro Person (und kostenlos Saft, Tee, Kaffee) vermissten wir die angekündigte offene Bar im Meduza nicht. Dort hätte uns der Abend 100 Euro pro Person extra gekostet. Ein „natürliches“ Feuerwerk gab es auch noch: Das wunderschöne alte Holzhaus mit den runden Türmchen in der Seestraße in Großmöllen brannte aus und ab, nur an der Straßenseite blieben ein paar Bretter erhalten, die übrigen verkohlten Balken waren zusammengekracht. Nach der Wende hatte das urige Haus unterschiedlichen Investoren nicht nur aus Polen gehört und verfiel von Jahr zu Jahr mehr, schon länger hatte das Haus keinen Strom- und Gasanschluss mehr. Da fragt man sich nach Ursache und Motiv für den Brand! Die Einheimischen reden von einer Palermo-Lösung, was immer das ist.

 

Der kulturelle Fortschritt hat auch vor Polen nicht haltgemacht. Die Urlauber gehen heute lieber in den „SPA“ zur „Wellness“ statt ins Museum. Eine unserer Mitreisenden erhielt im Museum eine individuelle Führung, weil sie am 2. Januar erst die 3. Besucherin im Jahr 2013 war. Wir geben es zu nutzten bei stürmischen Winden lieber das Hauseigene Wellnessangebot und ließen uns mit Massagen verwöhnen. Das tut dem Rücken und der Seele gut.

 

Die Krise unserer Zeit ist der Euro. Dank Internet waren wir immer über die aktuellen Nachrichten informiert. Doch auch die Spekulanten und Politiker nutzten die Weihnachtstage für einen Urlaub, so dass wir von neuen Horrorgeschichten verschont blieben.

 

Für einen Winterurlaub an der pommerschen Ostsee empfehlen wir das Syrena. Es erscheint auf den ersten Blick vielleicht nicht so luxuriös wie das Meduza, aber man spricht deutsch. Wir wurden auch gleich mit einem Terminplan begrüßt, der uns auf die Öffnungszeiten des Speisesaals, der Schwimmhalle und der Sportkurse hinwies. Im Meduza mussten wir das erst mühsam herausfinden. Das Angebot bei den Mahlzeiten erscheint zunächst geringer, wechselt aber täglich und wird mit Liebe gekocht. Im Meduza gab es beispielsweise die ganze Woche über die gleiche Tagessuppe und auf der Sonderspeisekarte je fünf gleichbleibende Gerichte. Das Syrena ist im Gegensatz zum Meduza behindertengerecht ausgestattet.

 

Mechthild Scheller, geb. 1968

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